Vielen Dank für den (mir) neuen link zum Materialeinfluss auf den Flötenton!
Die Materialkunde der Flötenrohre befindet sich scheinbar in jenem frühen Stadium der Allchemie, in dem Wissenschaft und Magie noch eng miteinander verwoben sind. Da ist es natürlich naheliegend, dass ein edler Klang nur durch besonders edle Matarialien erzeugt werden kann.
Guter Glaube und eine gehörige Portion vorgeformten Bewussseins bereiten hier erst den Boden für entsprechende Analysen und Qualitätsurteile. Ähnlich wie bei der Blindverkostung kostbarer Weine zeigt sich auch hier, dass nicht einmal die teuersten von den billigsten Marken statistisch signifikant zu unterscheiden sind. Doch ist die Statistik überhaupt das geeignete Mittel, um einen Unterschied objektiv zu validieren?
So lobenswert solch mühevollen Untersuchungen auch sind, sie haben in der Praxis erhebliche methodische Probleme.
Das beginnt zunächst in der Prüfsituation, wo der Flötenton in einem schalltoten Raum aufgefangen wird - eine Situation also, für die keine Flöte geschaffen wurde und die dem Spieler so erhebliche Schwierigkeiten bereitet, dass ihm per Kopfhörer ein künstlicher Hall zugespielt wurde. Genau dies zeigt, wie sehr der Flötenklang von Rückkopplungsprozessen gestaltet wird: Der Spieler nimmt einen Klang wahr und reagiert automatisch darauf mit entsprechenden Anpassungsleistungen, bis der wahrgenommene Klang die erwarteten Eigenschaften aufweist. Nur wird ihm dies im schalltoten Raum nicht gelingen, in Ermangelung eines eigenen Resonanzkörpers bleibt die Flöte auf einen externen Resonanzraum angewiesen, der durch einen künstlichen Hall aus einer mikrofonierten Abnahme nur unzureichend realisiert werden kann, denn die Flöte strahlt verschiedene Frequenzspektren in unterschiedlichen Richtungen (horizontal und vertikal) ab und erst die Mischung der zurücklaufenden Reflexionen schafft den charakteristischen Klang. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Flöte ihren besonderen Zauber erst in der Mischung mit anderen Instrumenten entfaltet, setzt doch das Gehör alles Gehörte stets zueinander in Beziehung.
Kein Wunder also auch, dass die Einschätzung des Materials nach dem Gehör in solch künstlicher Umgebung scheitern muss, setzt diese doch entsprechend ausgiebige Erfahrungen des betreffenden Klangbildes voraus. Kein Wunder also auch, dass der sehr geläufige Klang einer Silberflöte noch am ehesten erkannt wird.
Weiterhin bleibt fraglich, ob der Schalldruck das geeignete Kriterium zur Beurteilung von Klangcharakteristiken ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Gitarrensaiten sich hinsichtlich ihrer Klangqualitäten auf diese Weise nicht unterscheiden lassen, auch wenn das Ohr deutliche Unterschiede wahrnimmt. Nicht allein das Obertonspektrum, auch die Transienten prägen den Klang, gehen in diese Analyse allerdings nicht ein. Hier besteht nach wie vor ein methodisches Vakuum, wenn es darum geht, Klangqualitäten zu parametrisieren.
Nicht zuletzt lässt sich bei den erheblichen individuellen Unterschieden die Mittelwertbildung zum "Materialprofil" methodisch ankreiden. Dass der Ton in erster Linie vom Spieler gemacht wird, ist eine Binse. Eine Mittelung über Personen geht von der Annahme aus, dass ein Materialunterschied bei allen Spielern eine ähnliche Klangänderung zur Folge haben müsste. Was aber, wenn die Änderung je nach Spieler ganz verschieden ausfallen würde? Dann mitteln sich diese Unterschiede u. U. heraus.
Dementsprechend zeigen die Profile (auf den PDF-Dokumentseiten 46/47) bereits recht deutlich, dass verschiedene Spieler dazu in der Lage sind, aus einigen dargebotenen Flöten ganz besonders prägnante oder ausgeglichene Tonleitern herauszuholen. Gleiches gilt auch für die Dynamik (ab S. 48). Hier müsste gefragt werden: Wenn die Flöten bis auf das Material tatsächlich baugleich sind (was ich übrigens bezweifel), wodurch kommen dann dies Unterschiede innerhalb eines Spielers zustande? Vielleicht sind sie auch vom Bewusstsein des Spielers beeinflusst, der wusste, welche Flöte er gerade spielte.
Am Ende ihrer Vergleiches (s. 84) räumt die Autorin daher ein:
Natürlich versucht jederMusiker seine Klangvorstellung, egal auf welchem Instrument er gerade spielt, zu ver-
wirklichen und macht dadurch mögliche Schwächen einer Flöte wett.
Aber es gibt möglicherweise noch eine zweite, gegenläufige Wechselwirkung zwischen Flötenmaterial und Spieler: Das Bewusstsein macht den Ton.
Nicht jede Flöte ist für jeden Spieler geeignet, aber zuweilen passt eine wie die Faust aufs Auge, wenn beide sich zu einem optimalen Klang zusammenfinden.
Auch dies eine alte Binse.
Grüße
JB