Re: Barocke Spielweise
von Muri » 19.06.2010, 13:45
Das mit dem crescendo ist eine gute Frage. Dazu fällt mir grad nur folgendes ein: Das Mannheimer Stamitz-Orchester war berühmt für seine großartigen Crescendi und Melodiebögen. Das war in etwa zu Mozarts Zeit. Von daher könnte ich mir das so erklären, dass das Mannheimer Orchester crescendi erst populär machen. Ob sie auf diesem Wege "erfunden" wurde weiß ich nicht. Aber das würde deine Idee unterstützen, dass es im Barock keine Crescendi gab. Das ist eine interessante Frage! Weiß jemand sicheres?
Zur Aufführungspraxis ganz wichtige Stichworte: "Notes Inegales", Überpunktierung, Unterpunktierung, Ergänzung punktierter Rhythmen. Sprich: Die Notenwerte werden anders gespielt, als sie notiert sind! Ansonsten gibt es noch einige Verzierungen, die du einbauen kannst. Interessant dazu: In der Flötenschule "Flöte spielen Band E" ist eine Übersicht sämtlicher Verzierungen und ich welchem Zusammenhang sie genutzt werden. Vielleicht kannst du da ja mal reinschauen.
Aufführungspraxis war ein Bestandteil eines Referates, das ich vor ein paar Wochen gehalten habe. Hier ein Auszug daraus:
Überpunktierung
Die Konventionen der Zeit forderten Veränderungen des „französischen Stils“. So war es bis vor kurzem üblich in Händels Musik darauf hinzuweisen, punktierte Rhythmen zu schärfen, sodass die kurze Note auf die Hälfte (oder weniger) verkürzt werde.
In der Flötenschule von Johann Joachim Quantz bleibt jedoch unklar, ob eine generelle Überpunktierung gefordert ist. Auch die erhaltenen Flötenuhren mit Händels Musik lassen nicht auf eine Überpunktierung hinweisen. Andererseits fällt seit dem 17. Jahrhundert auf, dass französische Komponisten einen neuen Stil entwickeln, der tatsächlich von der Überpunktierung geprägt ist. Von diesem „Überpunktierungssyndrom“ macht auch Händel vereinzelt Gebrauch. Der in Frankreich entstandene Stil wurde lange nur von Komponisten selbst angewandt und wird erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts von Interpreten zur Vortragsweise genutzt. Die Notentexte von Händel müssen demnach nicht verändert werden.
Unterpunktierte Rhythmen
Im 17. und 18. Jahrhundert war das Gegenteil, eine lange Ausführung der kurzen Note, praktiziert, sofern dies eine musikalische Ursache hatte. Punktierte Notengruppe triolisch anzugleichen hat sich in den Musikern durchaus verankert.
Ergänzung punktierter Rhythmen
Die Ergänzung punktierter Rhythmen war zu Händels Zeit normal, was Transkriptionen Händels Musik belegen. Dieses spiegelt den Geschmack der Zeitgenossen wieder.
Egale Noten können in punktierte Rhythmen umgewandelt werden, wenn
a) „eine homogene Darstellung in unterschiedlichen Stimmen angemessen oder notwendig erscheint, um musikalisch verständlich zu bleiben“,
b) sie der Belebung des Notentextes dient (z.B. in einer Wiederholung),
c) wenn der Charakter des Stückes nicht beeinträchtigt wird.
b) Inégalité
Die Verbreitung von Inégalité in Frankreich ist nicht in Frage zu stellen. Allerdings beherrschte man in England die strikten französischen Regeln wohl nicht. In der solistischen Instrumentalmusik setzte sich ein Stil durch, in welchem ganze Sätze oder Teile aus punktierten Notengruppen bestehen. Notes inégales werden oft zu Beginn eines Stückes punktiert gezeigt, die dann vom Spieler selbst fortgesetzt werden sollen. In Frankreich wurde Inégalité jedoch gar nicht notiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Händel in ruhigen Sätzen Inégalité beabsichtigt, ist groß, wie das folgende Beispiel zeigt: NOTENBEISPIEL
Ob in der Spielpraxis Notes inégales verwendet werden, bleibt in der Hand des Interpreten.
Quelle: Rampe, Siegbert. „Rhythmische Veränderungen“ in: Händels Instrumentalmusik. Das Handbuch. Siegbert Rampe (Hg.). Laaber 2009. 224-231.