Barocke Spielweise




Welche Qf-Schulen empfehlt ihr Neulingen/Fortgeschrittenen? Gibt es einzelnen Etüden aus Schulen die vlt. sehr gut sind?...

Moderator: Muri

Barocke Spielweise

Beitragvon La musicienne » 19.06.2010, 12:31

Hallo zusammen,

ich soll kurzfristig eine barocke Flötensonate einstudieren für einen wichtigen gehobenen Anlass. Das heißt ich möchte jetzt in der kurzen Zeit möglichst schnell schaffen, das Ding möglichst barock also stilecht eben zu spielen.
Wie ist das eingentlich mit der Dynamik, hab da mal so Gerüchte gehört, dass es im Barock kein crescendo und diminuendo gibt...wie seht ihr das? Gibt es dann immer nur subito forte und subito piano?
Das man so gut wie ohne Vibrato spielt, ist mir bewusst. Kennt ihr sonst noch irgendwelche typischen Merkmale?
Hab schon ewig nix barockes mehr gespielt und mich überhaupt nicht mehr damit auseinander gesetzt seit ungefähr drei Jahren. Hab da im Vergleich zu anderen Epochen wirklich Rückstände, befürchte ich.
Natürlich werde ich das nächste Woche mit meinem Lehrer im Unterricht besprechen. Aber ich kann ja nicht warten bis dahin :wink:

lg
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Re: Barocke Spielweise

Beitragvon Muri » 19.06.2010, 13:45

Das mit dem crescendo ist eine gute Frage. Dazu fällt mir grad nur folgendes ein: Das Mannheimer Stamitz-Orchester war berühmt für seine großartigen Crescendi und Melodiebögen. Das war in etwa zu Mozarts Zeit. Von daher könnte ich mir das so erklären, dass das Mannheimer Orchester crescendi erst populär machen. Ob sie auf diesem Wege "erfunden" wurde weiß ich nicht. Aber das würde deine Idee unterstützen, dass es im Barock keine Crescendi gab. Das ist eine interessante Frage! Weiß jemand sicheres?
Zur Aufführungspraxis ganz wichtige Stichworte: "Notes Inegales", Überpunktierung, Unterpunktierung, Ergänzung punktierter Rhythmen. Sprich: Die Notenwerte werden anders gespielt, als sie notiert sind! Ansonsten gibt es noch einige Verzierungen, die du einbauen kannst. Interessant dazu: In der Flötenschule "Flöte spielen Band E" ist eine Übersicht sämtlicher Verzierungen und ich welchem Zusammenhang sie genutzt werden. Vielleicht kannst du da ja mal reinschauen.

Aufführungspraxis war ein Bestandteil eines Referates, das ich vor ein paar Wochen gehalten habe. Hier ein Auszug daraus:

Überpunktierung
Die Konventionen der Zeit forderten Veränderungen des „französischen Stils“. So war es bis vor kurzem üblich in Händels Musik darauf hinzuweisen, punktierte Rhythmen zu schärfen, sodass die kurze Note auf die Hälfte (oder weniger) verkürzt werde.

In der Flötenschule von Johann Joachim Quantz bleibt jedoch unklar, ob eine generelle Überpunktierung gefordert ist. Auch die erhaltenen Flötenuhren mit Händels Musik lassen nicht auf eine Überpunktierung hinweisen. Andererseits fällt seit dem 17. Jahrhundert auf, dass französische Komponisten einen neuen Stil entwickeln, der tatsächlich von der Überpunktierung geprägt ist. Von diesem „Überpunktierungssyndrom“ macht auch Händel vereinzelt Gebrauch. Der in Frankreich entstandene Stil wurde lange nur von Komponisten selbst angewandt und wird erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts von Interpreten zur Vortragsweise genutzt. Die Notentexte von Händel müssen demnach nicht verändert werden.

Unterpunktierte Rhythmen
Im 17. und 18. Jahrhundert war das Gegenteil, eine lange Ausführung der kurzen Note, praktiziert, sofern dies eine musikalische Ursache hatte. Punktierte Notengruppe triolisch anzugleichen hat sich in den Musikern durchaus verankert.

Ergänzung punktierter Rhythmen
Die Ergänzung punktierter Rhythmen war zu Händels Zeit normal, was Transkriptionen Händels Musik belegen. Dieses spiegelt den Geschmack der Zeitgenossen wieder.
Egale Noten können in punktierte Rhythmen umgewandelt werden, wenn
a) „eine homogene Darstellung in unterschiedlichen Stimmen angemessen oder notwendig erscheint, um musikalisch verständlich zu bleiben“,
b) sie der Belebung des Notentextes dient (z.B. in einer Wiederholung),
c) wenn der Charakter des Stückes nicht beeinträchtigt wird.

b) Inégalité

Die Verbreitung von Inégalité in Frankreich ist nicht in Frage zu stellen. Allerdings beherrschte man in England die strikten französischen Regeln wohl nicht. In der solistischen Instrumentalmusik setzte sich ein Stil durch, in welchem ganze Sätze oder Teile aus punktierten Notengruppen bestehen. Notes inégales werden oft zu Beginn eines Stückes punktiert gezeigt, die dann vom Spieler selbst fortgesetzt werden sollen. In Frankreich wurde Inégalité jedoch gar nicht notiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Händel in ruhigen Sätzen Inégalité beabsichtigt, ist groß, wie das folgende Beispiel zeigt: NOTENBEISPIEL
Ob in der Spielpraxis Notes inégales verwendet werden, bleibt in der Hand des Interpreten.

Quelle: Rampe, Siegbert. „Rhythmische Veränderungen“ in: Händels Instrumentalmusik. Das Handbuch. Siegbert Rampe (Hg.). Laaber 2009. 224-231.
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Re: Barocke Spielweise

Beitragvon La musicienne » 19.06.2010, 20:11

Ah, danke, das ist ja wirklich interessant mit den Punktierungen. Aber ich denk das ist schon ein heikle Sache mit den Veränderungen, die sollte man dann wirklich nur wagen, wenn man "Profi" ist auf dem Gebiet. Und wenn Schüler solche Mittel verwenden, sagen natürlich alle, "der spielt unryhtmisch".
Zum Glück sind in meinem Satz nur wenige Punktierungen vorhanden. Meistens durchgehende 16tel Figuren mit paar 23tel zwischendurch und von Händel ist es auch nicht.
Aber ein paar Triller und Verzierungen werde ich auf jeden Fall einfügen, weil ich bis jetzt auf jeder Aufnahme dieses Stücks das so gehört hab, wird also üblich sein.
Das mit dem triolischen Ausgleichen von Punktierungen haben wir im Orchester bei Werken von Haydn so praktiziert, kommt mir also auch bekannt vor.
Naja, werd mich auf jeden Fall weiterhin mit dem Thema beschäftigen...mal schauen, welche Meinungen ich noch so höre.
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Re: Barocke Spielweise

Beitragvon Christina » 20.06.2010, 14:03

Hallo La musicienne!

Dem, was Muri geschrieben hat, kann ich so spontan kaum noch etwas hinzufügen. Zur Dynamik kann ich sagen, dass es im Barock zwar grundsätzlich schon crescendo bzw.diminuendo gibt, die Kontraste und überhaupt Dinge wie Lautstärke und Klangvolumen aber noch lange nicht eine so große Bedeutung haben wie später. Das liegt auch daran, dass die klanglichen Möglichkeiten der damaligen Instrumente noch ganz anders aussahen, als wir es heute gewohnt sind, oder als es auch schon z.B. in der Klassik möglich war. Es ist ja auch in vielen Fällen keine feste Dynamik vom Komponisten vorgeschrieben, sondern das bleibt weitgehend der eigenen Interpretation überlassen. Es gilt darum im Barock in erster Linie, den Charakter eines Stückes (z.B. lyrisch, tänzerisch, ...) zu erfassen und durch Artikulation, Phrasierung usw. umzusetzen. Das kann man ganz vorsichtig durch die dynamische Gestaltung unterstützen, sollte es aber auf keinen Fall übertreiben.

Ein anderer wichtiger Bereich wäre noch die Beschäftigung mit der im Barock typischen Ausführung von Verzierungen. Da gibt es nämlich schon einige Besonderheiten und Abweichungen gegenüber unseren heutigen modernen Gewohnheiten.

Ein sehr gutes Buch, was ich dir nicht nur zum Thema Barockmusik, sondern allgemein empfehlen kann, ist von Peter-Lukas Graf "Interpretation - Grundlagen zur Melodiegestaltung". Ist zwar nicht immer ganz leicht zu lesen, gibt aber viele Tipps und Informationen sowohl zur allgemeinen musikalischen Gestaltung als auch besonders zu stilistischen und historischen Besonderheiten. Gerade als Nachschlagewerk in solchen Situationen wie deiner möchte ich nicht mehr darauf verzichten.

Liebe Grüße
Christina
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Re: Barocke Spielweise

Beitragvon La musicienne » 21.06.2010, 17:03

Das mit den Büchern ist immer so eine Sache, eigentlich müsste ich ein ganzes Regal von flötentechnischen oder musiktheoretischen Büchern da stehen haben, dann könnte ich immer alles nachschauen. Aber wär glaub ich auf die Dauer ein bisschen teuer, da muss ich schon abwägen, welche Bücher ich wirklich brauch. Aber trotzdem danke für den Tipp, werd mich mal erkundigen und umschauen. Hab jetzt ein Atembuch von meinem Lehrer ausgeliehen bekommen, oje das sollte ich auch noch lesen, wenn mir bloß mal jemand bisschen Zeit geben könnte...gibt echt so viel Literatur, wo man mal reinschauen sollte.

Bin mal gespannt, welche Meinungen ich zur barocken Spielweise noch so zu hören bekommen bzw. auf welchen Schluss wir im Unterricht kommen.
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Re: Barocke Spielweise

Beitragvon Altetröte » 22.06.2010, 12:05

Hallo La Musicienne,

auf der Seite von Azumi gibt es ein "Teaching Center" und dort eine Rubrik Downloads. Dort kannst Du Dir das Buch von Quantz komplett herunterladen.

http://imslp.org/wiki/Versuch_einer_Anweisung_die_Flöte_traversiere_zu_spielen_(Quantz,_Johann_Joachim)

Wenn der nichts über die "Manieren" zu schreiben weiß, dann weiß ich es auch nicht :D

Im übrigen wird auch im Barock mit Vibrato gespielt, allerdings "zart"; mit Inegalität wäre ich sehr vorsichtig...
Crescendo und diminuendo wurden nicht oder selten notiert, da der Spieler das selbst erkennen mußte, so wie damals sowieso vieles nicht in den Noten stand, weil es einfach vorausgesetzt wurde, dass der Instrumentalist die "Regeln" kennt. Verzierungen und Kadenzen wurden in der Regel selbst gstaltet, man hatte lediglich den Generalbaß zu beachten. Ein weiteres Stilmittel des Barock ist das "Seufzen", meistens auf Achtelketten.
Und da soll noch einmal jemand sagen, Barock wäre langweilig! Es klingt nur dann langweilig, wenn es nicht interpretiert wird, und dazu kannst Du in der "Anweisung" von Quantz eine ganze Menge finden.

Viel Spaß beim Stöbern und Ausprobieren!

Liebe Grüße
von der

Alten Tröte

P.S. Falls der Link zu dem Quantz nicht funzt, hier noch einmal die Seite selbst (hier lohnt sich auch das Anschauen, man kann u.a. auch kostenlos Noten herunterladen...)

http://www.azumi.eu/tipps-tricks0/azumi-downloads0.html
"Ihr wisset, dass ich die blasenden Instrumentalisten nicht leiden kann, denn sie blasen alle falsch"

Alessandro Scarlatti (zu Johann Joachim Quantz)

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Re: Barocke Spielweise

Beitragvon La musicienne » 23.06.2010, 18:25

Danke, der untere Link hat funtionert!
Mein Lehrer hat jetzt im Unterricht gemeint, dass es auf jeden Fall crescendo und diminuendo gibt. Deshalb wurde ja auch das Piano-Forte erfunden, weil es störte, dass man auf dem Cembalo diese dynamischen Möglichkeiten nicht hat.
Hab auch mit einer Freundin darüber diskutiert, die auch Flötistin ist und die meinte es gäbe schon so ein "öffnen und schließen" was dem cresc. und dim. nahe kommt.
Ich denk wenn man es behutsam einsetzt, ist es erlaubt.
Die ganzen Stilmittel im Barock haben wir auch schon oft durchgenommen*g*aber ich denk man sollte sowas gut dosieren, sonst klingt es übertrieben oder albern irgendwie.
Dass Barock langweilig ist, finde ich eigentlich nicht, nur etwas heikel. Vorallem kommt es auch auf eine deutliche Artikulation an, bei der es aber jeweils angeblich unterschiedliche Lehrmeinungen gibt bei den jeweiligen Stücken.
Da kann man sich dann darüber streiten.
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