Re: Jazz Anfänge
von James Blond » 21.01.2021, 00:03
Hallo Angie,
vielleicht ist eine längere Pause ein günstiger Moment, etwas neu zu beginnen, bevor man wieder zurück in die alten Bahnen gleitet. Denn ich glaube, dass es für gestandene Notisten mit klassischer Ausbildung nicht leicht ist, sich von der Diktatur des Notenblattes zu lösen: Zu groß ist die Verführung des Erfolgserlebnisses, auch ohne tiefere Kenntnis der zugrunde liegenden harmonischen Strukturen allein durch das Folgen der notierten Vorgaben genau das Richtige zu spielen ...
Da startet man als Jazzflötistin auf einmal wieder als Anfänger - und Anfänge klingen selten gut, wenn sich die Ohren schon an etwas professioneller Klingendes gewöhnt haben. Und dann folgt sehr rasch der Griff zu neuen Lehrbüchern mit Anleitungen über "freies" Improvisieren. Im Grunde ist das so, als ob man nach einer Medizin gegen die Einnahme von Medikamenten sucht.
Ich würde dir für den Neustart in den Jazz etwas ganz anderes empfehlen: Suche dir ein kürzeres Lieblingsstück mit einer einfachen Melodie, die du aus dem Kopf /besser engl: "aus dem Herzen"/ spielen kannst und von dem du auch eine Begleitaufnahme hast, die dir gefällt, das kann auch etwas Klassisches sein. Spiele es wiederholt (am besten als ununterbrochene Loop), bis es dir "zu den Ohren herauskommt", spiele immer weiter und denke dabei an alles und nichts, höre einfach nur. Irgendwann hörst du innerlich nicht mehr die einzelnen Töne der Melodie, sondern die Abfolge der Harmonien mit allen ihren Möglichkeiten. Dann wirst du automatisch entsprechende Töne auf den betonten Taktteil setzen, wogegen der unbetonte die Übergangstöne abbekommt, und das können sowohl diatonische als auch chromatische Tonschritte sein. Erkunde die unterschiedliche Wirkung, die davon ausgeht und erobere dir schrittweise den gesamten Tonraum. Speichere die Hörerfahrungen und suche, Dissonanzen und Konsonanzen als Ausdrucksmittel gezielt einzusetzen.
Ach ja, ganz wichtig: Mach vorher das Licht aus!
Grüße
JB
P.S. Um auf deine Eingangsfrage zurückzukommen: "Womit fange ich an, was ist wichtig? "
Das Hören ist wichtig, Angie.